365 Tage später oder In meinem neuen Leben...

Völlig überrascht habe ich am Wochenende im Kalender entdeckt, dass es heute auf den Tag genau ein Jahr her ist, dass ich meine Krebsdiagnose bekommen habe. Bloss ein Jahr! Es kommt mir vor, als wäre das alles in einem anderen Leben passiert. Soviel ist in der Zwischenzeit geschehen, soviel hat sich und verändert und ich glaube auch ich habe mich sehr verändert. Jim meinte einmal zu mir, dass er mich erst nach meinem Deutschlandurlaub, der meiner OP folgte, richtig kennengelernt hat. Ich bin zwar immer noch ungeduldig und schnell aus der Fassung zu bringen, aber lange nicht mehr so dramatisch wie vor der ganzen Krebssache. Ich schiebe es auf die Schilddrüse, die ist ja doch für so einiges im Körper zuständig.

Zusammendfassend kann ich sagen:
Ein Jahr später habe ich keine Schilddrüse mehr, auch 2 Nebenschilddrüsen fehlen mir. Ich habe eine 14 cm lange, wunderbar verheilte und abgeblasste Narbe am Hals und nehme jeden Tag ein Hormontablettchen. Bis auf eine ziemlich fiese, verspätete Schwellung meiner Speicheldrüsen vor ein paar Wochen, die erst sehr geschwollen und dann sehr schmerzhaft war, habe ich keine körperlichen Probleme.
Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie es ist, Angst um sein Leben zu haben und auch, wie dankbar man nach solch einem dramatischen Erlebnis für Kleinigkeiten ist. Ich habe erlebt, wieviel mein Körper aushält, aber auch wie verwundbar er ist. Ich habe gelernt, dass die Gesundheit das wichtigste Gut überhaupt ist.
Ich habe Freunde ziehen lassen, die keine richtigen Freunde waren und habe ein paar neue, wirkliche Freunde dazugewonnen. Ich bin mir darüber klar geworden, dass ich eine eigene Familie möchte. Wenn ich mich mit jemandem streite, will ich mich vor dem Zu-Bett-gehen unbedingt vertragen, weil ich nicht weiß, was am nächsten Tag passiert.

Ich habe meinen Job bei Berlitz angefangen und mache ihn zu 99% wahnsinnig gerne. Wir haben unser erstes gemeinsames Haus gekauft und sind Ende Oktober (glaube ich) eingezogen. Wir haben den ehrgeizigen Plan erstellt, bis Juni 2018 schuldenfrei zu sein. Ich habe angefangen, mit Coupons einzukaufen und meinen Lieben öfter zu zeigen, wie gern ich sie habe. Wir kaufen viel mehr Bioprodukte und versuchen gesund zu leben. Momentan habe ich wieder mein "Krebsgewicht", noch 2 Kilo runter und ich wiege so wenig wie zum letzten Mal vor 10 Jahren. Komischerweise fällt es mir trotz hochdosierter Hormonpille jetzt um einiges schwerer abzunehmen, aber bislang halte ich durch.
Meine Weltanschauung hat sich verändert, ich kann toleranter sein anderen Meinungen gegenüber und versuche mit meinen Mitmenschen gut auszukommen. Mit meiner Schwester habe ich mehr Kontakt und wir verstehen uns ziemlich gut. Sie geht mir oft auf die Nerven, aber ich denke das ist der Job einer großen Schwester! ;-) Ich werde ihr nie vergessen, wie sie mir geholfen hat in dieser schweren Zeit.
Wenn ich nicht gerade über diese Zeit in meinem Leben sinniere, gibt es oft Tage, an denen ich gar nicht an meine Erkrankung denke. Ich genieße das sehr! Jeder Betroffene hat eine andere Art und Weise mit seiner Krankheit umzugehen, ich merke, dass es für mich am besten ist, mich vom Thema Krebs weitestgehend fernzuhalten. Nun gut, jetzt steht bald wieder meine ach so geliebte Jodkarenz an, da ist das Thema greifbarer. Aber ich mache mich nicht mehr verrückt und hoffe, bete und vertraue, dass ich jetzt gesund bin. Meistens klappts!

Und sowie ich mir das hier nochmal durchlese, bin ich auch um ein paar Jahre gealtert. Aber wie ists mit gutem Wein...? ;-) Meinen Humor hab ich nicht verloren, und der Schalk sitzt mir nach wie vor im Nacken.

Ich hoffe einfach, dass wir die nächsten Jahre von großen Neuigkeiten verschont bleiben. Uns gefällt unser langweiliges Leben, wir erholen uns, denke ich, immer noch von den Aufregungen des letzten Jahres. Gute Nachrichten sind uns willkommen, die schlechten müssen leider draussen bleiben.

In diesem Sinne, auf die nächsten 365 Tage! Und bleibt bitte gesund!
Alles Liebe,

Julia